Queerfeindliche Übergriffe: Interview mit MANEO

Die Zahl registrierter queerfeindlicher Straftaten steigt – auch in Berlin. Manu Abdo sprach mit Bastian Finke vom schwulen Anti-Gewalt-Projekt MANEO über den aktuellen MANEO-Report 2022, die Bedeutung der Zahlen und darüber, was man tun kann, wenn man selbst Opfer queerfeindlicher Aggressionen wird.
Symboldbild für Queerfeindlichkeit und Homophobie: eine Faust hällt aggressiv fest ein paar Regenbogenbänder

Bastian, könntest du uns bitte das Ergebnis des MANEO-Reports näher bringen?

Im Berichtsjahr 2022 konnten wir in Berlin etwas mehr Fälle als im Vorjahr erfassen (2022: 760, 2021: 731). Von diesen Fällen wiesen 557 Fälle LGBTIQ*-feindliche Bezüge auf (2021: 527). Dies ist für uns auch bedeutsam, da wir dadurch in unserer Beratung deutlich stärker gefordert waren, als im Vorjahr. Einerseits haben wir es geschafft, etwa 50% der Fälle, die bei uns gemeldet wurden, aus dem Dunkelfeld herauszuholen – also das, was der Polizei nicht bekannt ist. Dunkelfeld bezeichnet sowohl Fälle, die bei uns eingegangen sind, aber nicht bei der Polizei angezeigt wurden, als auch Fälle, die nirgendwo gemeldet wurden. In anderen Fällen haben uns die Betroffene berichtet, dass sie die Fälle bereits bei der Polizei zur Anzeige gebracht haben. Zudem konnten wir in einem weiteren Teil unserer Arbeit über Medien recherchieren, da die Polizei regelmäßig Fallbeispiele über ihre polizeiliche Pressestelle veröffentlicht.

Wie vergleichbar sind die Ergebnisse mit anderen Städten oder Bundesländern?

Das Bundeskriminalamt veröffentlicht eine bundesweite Statistik über die von der Polizei erfassten LGBTIQ*-feindlichen Übergriffe, jedoch werden die Zahlen nicht nach Städten sondern Bundesländer ausgewiesen. Insofern können wir hier zumindest für das Land Berlin auf Zahlen zurückgreifen, die es in dieser Menge und Anzahl weder in Hamburg noch in Bremen als Stadtstaaten gibt, geschweige denn in ganz Nordrhein-Westfalen oder Bayern. 

Ja, wir haben hier in Berlin viel mehr Zahlen! Das liegt aber nicht daran , dass Berlin besonders homo-, trans*- oder LGBTIQ*-feindlich sei, sondern dass wir hier sehr gute Instrumente geschaffen haben, damit Menschen auch schneller einen Fall melden und die Strafverfolgungsbehörden effektiv die Fälle verfolgen können. Das ist hier in Berlin zwar sehr gut ausgebaut, aber noch nicht so, wie es sein soll. Es sind einerseits schon sehr gute Voraussetzungen geschaffen worden. Andererseits müssen die jetzt aber noch weiter verbessert werden.

Im aktuellen Report werden im Vergleich zum Vorjahr mehr Fälle festgestellt, die nicht bei der Polizei gemeldet wurden. Woran liegt das?

Das hat viele Gründe. Entweder schaffen wir es durch unsere Arbeit, mehr Menschen dazu zu bringen, mit uns zu sprechen, die vorher weder mit uns, noch der Polizei gesprochen haben. Oder wir haben es geschafft, dazu beizutragen, dass die Menschen zu uns wiederkommen, wenn wieder was passiert ist. 

Es gibt auch noch viele andere Argumente. Wir haben zum Beispiel auch Betroffene, denen das schon mehrfach passiert ist. Irgendwann haben sie keine Lust mehr, Anzeige zu erstatten, weil denen das zu viel Stress macht. Zum Beispiel hat mir eine trans* Person mal gesagt: „Ich kann nicht jeden Tag drei, vier Strafanzeigen erstatten, das schaffe ich nie.“ 

„Ich kann nicht jeden Tag drei, vier Strafanzeigen erstatten.“

Das hat etwas mit den Bedingungen zu tun und nicht mit der Polizei. Wir versuchen aber weiterhin die Türen zur Polizei zu öffnen, aber ich kann auch verstehen, wenn manche sagen, das sei ihnen zu viel.

Warum hat die Zusammenarbeit zwischen MANEO und der Polizei in diesem Jahr nicht stattgefunden?

Seit 2021 hat die Generalstaatsanwaltschaft der Polizei untersagt, einen Austausch über statistische Informationen fortzusetzen. Es ging um anonymisierte statistische Daten, die wir zuvor mit der Polizei ausgetauscht hatten, um unsere Präventionsarbeit zu verbessern. Die Polizei hat uns bis dahin stets ein paar wenige anonymisierte Informationen gegeben: Datum Uhrzeit, Ort des Vorfalls. 

Beispielsweise, wenn wir festgestellt hatten, dass es seit zwei oder drei Wochen mehr Überfälle im Tiergarten gibt, dann hatten wir sofort reagiert und unsere Vorort-Mitarbeiter*innen in den Tiergarten geschickt, so wie die Polizei auch. Wir boten vor Ort eine Infostelle an oder sind mit den Menschen dort ins Gespräch gekommen. Wir konnten reagieren. Oder wenn es irgendwo gehäuft Vorfälle gab, dann konnten wir in den sozialen Medien auf eine erfhöhte Gefährdung aufmerksam machen.

Diesen Austausch gibt es leider nicht mehr, weil die Polizei aus Datenschutzgründen noch nicht einmal über anonymisierte Eck-Informationen mit uns sprechen darf nachdem der Datenschutzbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft rechtliche Probleme festgestellt hatte.

Wir haben diesen Austausch jahrelang machen können – ohne Probleme. Dadurch konnten wir unsere Präventionsarbeit jedes Jahr verbessern, da wir viel miteinander kommuniziert haben, immer unter Einhaltung des Datenschutzes. Das war für uns völlig selbstverständlich.

Die Kommunikation mit der Polizei bzw. unsere Vermittlung zwischen den Opfern und der Polizei ist selbstverständlich noch immer da, aber sie ist sehr erschwert worden.

Welche Arten von Übergriffen werden im Report erfasst?

Die Mehrheit der Fälle, die wir hier erfasst haben, finden in den Straßen und in der Öffentlichkeit statt – einschließlich Übergriffe in den öffentlichen Verkehrsmitteln, hier haben wir besonders viele Fälle erfasst. Darüber hinaus haben wir auch Fälle erfasst, die sich in sozialen Medien oder im Internet ereignet haben, wie beispielsweise Hass im Netz. Es gibt auch andere Regionen, in denen Übergriffe auftreten. z.B. in Schulen und Bildungseinrichtungen.

Ist euch ein Muster aufgefallen, wo und wann die Übergriffe am häufigsten auftreten?

Das ist schwer zu erfassen! Es ist ein bisschen mehr am Wochenende, aber vor allem an Orten oder in Momenten, in denen LGBTIQ* öffentlich sichtbar sind: Cafés, Bars, Clubs und Events. Sobald sie in der Öffentlichkeit sichtbar sind, besteht da immer eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es zu Provokationen, Beleidigungen oder Belästigungen kommt, sowohl tagsüber als auch nachts. Eine große Vielzahl der von uns erfassten Übergriffen findet in Schöneberg statt, aber auch in Kreuzberg, Friedrichshain, Neukölln und Mitte. Dies sind die Schwerpunktorte, die wir auch im letzten Jahr wieder erfasst haben.

Kürzlich wurden mein Freund und ich als schwules Paar auf der Straße von einer Gruppe junger Männer angespuckt, was in mir sowohl Wut als auch Angst auslöste. Nun frage ich mich, wie ich am besten mit dieser Situation umgehen sollte?

Keine Konfrontation! Wenn die Situation schon so aggressiv ist, sollte man nicht zu der Aggression beitragen, sondern sofort die Polizei anrufen und sagen: „Ich bin gerade an diesem Ort und wurde als schwuler Mann von Leuten angespuckt. Bitte kommen Sie schnell, die Täter sind jetzt noch gerade hier, oder ich beobachte, wo sie hingehen.“ Dann kommt die Polizei und stellt die Identität der Täter*innen fest und dann kann ein Strafantrag erstattet und eine Strafverfolgung gegen die Täter*innen eingeleitet werden. Das ist eine sehr effektive Maßnahme, um etwas zu bewirken und sich wehrhaft zu zeigen.

Gleichzeitig: Wer sich hilflos in diesen Situationen fühlt, kann mit uns darüber reden, um sich zu stärken, Handlungsoptionen zu verbessern, oder diese Übergriffe zu verarbeiten. Wenn weitere Hilfe erforderlich wäre, können wir auch vermitteln und Kontakte herstellen. 

Wichtig ist nur, sich nicht hängen zu lassen, nicht zu akzeptieren, dass das angeblich normal wäre. Das ist nicht normal. Wir müssen alle auch eine Haltung einnehmen und deutlich machen, das akzeptieren wir nicht. Und das fängt bei uns allen an. Auch bei Zeug*innen, die Übergriffe beobachtet haben. Sie haben die Täter*innen gesehen, oder sie können bestätigen, dass das passiert ist. Es ist deshalb wichtig, dass auch Zeug*innen sich bei uns melden. Vor wenigen Tagen haben wir eine Pressemeldung der Polizei über die sozialen Medien weiter kommuniziert. Eine Stunde später hat sich bei uns ein Zeuge gemeldet und gesagt: „Ich war dabei und habe das gesehen. Wenn das Opfer Hilfe braucht, stehe ich zur Verfügung.“ Dann haben wir auch wieder den Kontakt mit der Polizei hergestellt.

Wichtig ist, sich nicht hängen zu lassen, nicht zu akzeptieren, dass das angeblich normal wäre. Das ist nicht normal.

Wie trägt MANEO zur Gewaltprävention bei, welche Arbeit wird hier geleistet? 

Die Gewaltpräventionsarbeit, die wir in erster Linie leisten, besteht darin, schwule, bisexuelle und andere MSM über Gefährdungen und Gefahren zu informieren. Eine unserer Hauptaufgaben ist, uns an die Szenen zu wenden und sie anhand unterschiedlichen Informationen und Materialien zu sensibilisieren. Wir haben verschiedene Themen, mit denen wir uns mit Infomaterial an die Öffentlichkeit wenden, auch über soziale Medien. Unsere Schwerpunktthemen, zu denen wir bislang gearbeitet haben, sind homofeindliche Beleidigungen, homofeindliche Raubstraftaten, sexuelle Übergriffe, häusliche Gewalt, Zwangsverheiratung und KO-Tropfen. Dazu haben wir Material und bieten viele Informationen an, auf die die Menschen zurückgreifen und sich informieren können. Außerdem sind wir vor Ort und in den sozialen Medien unterwegs. Wir haben eine aktive Vorortarbeit, das heißt: Mitarbeiter*innen von uns sind mit Infoständen jede Woche in der Szene unterwegs: in Crusing-Gebieten, in Kneipen oder stehen vor und in Clubs. Das können wir aber nur mit den Ressourcen machen, die uns zur Verfügung stehen. 

Und wie kann ein Gewaltopfer bei euch einen Übergriff melden? 

Wir haben verschiedene Zugangswege, die man bei uns melden kann. Erstens kann man jeden Tag – auch am Wochenende – zwischen 17 und 19 Uhr bei uns anrufen. Darüber hinaus sind wir an Werktagen von Montag bis Freitag in der Bülowstraße 106 zwischen 17-19 Uhr persönlich erreichbar. Oder man kann uns eine E-mail schicken, bzw. über die sozialen Medien mit uns Kontakt aufnehmen. Es gibt auch auf unserer Homepage einen online Fragebogen, den man ausfüllen kann.

Wir sind permanent im Terminproblem, weil wir völlig überlastet sind. Da muss sich was ändern.

Was kommt jetzt? Arbeitet ihr mit der Politik zusammen, um Maßnahmen zu ergreifen?

Wir gehen anhand des Reports in Gespräche mit der Politik und der Stadtverwaltung. Eine ganz große Baustelle spielt die Opferhilfe. Anhand unserer Zahlen können wir belegen, wie viel Arbeit wir haben. Aber auch gleichzeitig belegen, wie wenige Ressource zu unserer Verfügung stehen, um diese Arbeit zu machen. Wir sind permanent im Terminproblem, weil wir völlig überlastet sind. Da muss sich was ändern, wir brauchen mehr Ressourcen. Viele Menschen brauchen Hilfe, und diese Hilfe wird nicht geboten. Die psychische und auch die körperliche Gesundheit von LGBTIQ*-Menschen ist belastet. Das führt dann auch zu Erkrankungen, wenn die Menschen die Hilfe und Unterstützung, die sie brauchen, nicht bekommen. 

Das andere ist präventionistische Strategien zu entwickeln und Maßnahmen zu verstärken: Nicht aufzuhören, Aufklärung an Schulen zu betreiben und Aufklärungsarbeit in Jugendeinrichtungen zu fördern. Das muss weiterlaufen und darf nicht gekürzt werden.

Das sind alles wichtige Argumente, die wir vielen Einrichtungen und Organisationen mit unserem Bericht an die Hand geben können. Die Politik und die Verwaltung muss immer wieder gefördert werden, ihre Bemühungen im Kampf gegen LGBTIQ*-Feindlichkeit und Menschenfeindlichkeit nicht zu vernachlässigen, sondern fortzusetzen.

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