Ben Scholz besucht Schulklassen, um ehrenamtlich über Sex zu sprechen. Als der Kölner in seinem Aufklärungsunterricht irgendwann feststellte, dass er von den Schülern immer wieder die gleichen Fragen gestellt bekommt, startete er 2014 mit seinem Portal jungsfragen.de. In eigens produzierten Videos beantwortet Ben dort sowie über einen eigenen Youtube-Channel alles, was seine Kernzielgruppe, Jungs zwischen 12 und 16 Jahren, interessieren könnte.
Ben, beobachtest du bei den Jungs in den Schulen ein Schamgefühl, wenn es darum geht, über HIV, andere STIs und entsprechende Tests beim Arzt zu sprechen?
So richtig kann ich das eigentlich nicht bestätigen. Wenn ich in den Klassen über diese Themen spreche, merke ich eher, dass die Schüler hellhörig werden und dann alles ganz genau wissen wollen. Mein Eindruck ist, dass das Bewusstsein für die gesundheitlichen Risiken beim Sex durchaus vorhanden ist bzw. dann zum Vorschein kommt, wenn man es erst einmal wachgerüttelt hat und ihnen sagt: HIV und Aids gibt es leider immer noch. Oft werde ich direkt gefragt, wo man denn noch heute einen HIV-Schnelltest in der Stadt machen kann, sobald ich davon berichtet habe.
Sind in den Klassen auch schwule Jungs, die dazu ganz normal stehen oder tun sich Schüler auch heute noch schwer, ihren Kumpels in der Klasse zu sagen: „Ich bin anders als ihr, ich bin schwul“?
So schade es ist, aber wir befinden uns auch im Jahr 2016 noch lange nicht in einer Lage, in der man sich in der Schule einfach mal eben outen kann. Schwule Jungs beschäftigen sich deshalb auch meistens weniger mit klassischen Sex-Themen, sondern in erster Linie mit sich selbst und ihrer Identität, der viele eben doch auch skeptisch gegenüber stehen. Die Scham ist da noch ziemlich groß.
Merkst du das auch direkt im Aufklärungsunterricht?
Ja, mit der Zeit ist mir aufgefallen, dass manche Jungs beim Thema Homosexualität mega in sich gekehrt sind und alles tun, damit kein Blickkontakt zu mir entsteht. All das geschieht aus Angst, dass es jetzt doch jemand „herauskriegen“ könnte. Dasselbe passiert übrigens auch dann, wenn ich über das Thema Vorhautverengung spreche. Wenn einer von den Jungs feststellt „Ohje, das ist bei mir genau so“, dann merkt man schnell, wie sie den Unterricht mental verlassen. Es gibt also doch ein paar Themen, bei dem die Scham richtig groß ist. Wobei das natürlich auch immer etwas mit der Klassengemeinschaft zu tun hat.
Du bist nicht nur in Klassen unterwegs, sondern auch Betreiber des Portals jungsfragen.de. Suchen dort auch viele schwule Jungs Rat?
Ja, sehr viele sogar. Gerade bei den schwulen Kids geht es dabei sehr oft um eine große Frage: „Wie kann ich mich outen?“. Bis es dann zum ersten Sex kommt, ist es oft noch ein längerer Weg. Trotzdem ist es natürlich wichtig, schon davor über Safer Sex und konkret über sexuelle Praktiken zu sprechen. So wie das bei Heteros oft viel selbstverständlicher passiert – und zwar auch mal auf dem Schulhof.
Besteht dadurch auch das Risiko, dass schwule Jungs ihre ersten sexuellen Erfahrungen viel „heimlicher“ machen, eben, weil sie sich nicht trauen, mit Freunden darüber zu sprechen?
Auf jeden Fall. Sie können in der Regel leider nicht, wie die Hetero-Kumpels, damit prahlen, dass man die Nacht zuvor entjungfert wurde. All das läuft ganz anders ab. Auch wenn es um die Frage nach einem Arztbesuch geht, etwa nach einem Risikokontakt, spielt das eine große Rolle. Wie sag ich es dem Arzt? Wie wird er auf den schwulen Kontakt reagieren? Bis zur Erkenntnis, dass sie das Normalste der Welt machen, vergeht oft mehr Zeit als bei Heteros.
Hast du allgemeine Tipps und Tricks für Jungs parat, die noch am Anfang ihres Sexlebens stehen?
Zunächst sage ich klipp und klar: Sex ist toll, Sex macht Spaß und ist das Beste der Welt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass man sich beim Sex mit irgendetwas anstecken kann. Aber natürlich beschwichtige ich auch. Denn zum Glück ist ja das meiste gut behandelbar. Selbst bei HIV gibt es bekanntlich sehr gute Therapiemöglichkeiten. Grobe Faustregel meinerseits ist: „Wer ein lustvolles Sexleben mit unterschiedlichen Leuten hat, sollte regelmäßig, zirka einmal jährlich, alle gängigen Tests und Untersuchungen machen.“
Bei der Gelegenheit ist dann auch immer noch ein Tipp, am besten sofort einen Arzt aufzusuchen, sobald man einen Risikokontakt hatte, oder eine Veränderung am eigenen Körper beobachtet. Denn je schneller die Diagnose, desto besser und einfacher die Behandlung. Wenn mir zum Beispiel ein Junge schreibt, dass er einen Pickel am Penis hat, aber nicht zum Arzt will, dann werde ich manchmal auch ziemlich direkt und sag: Ja gut, dann musst du jetzt eben damit leben, dass dir der Pimmel abfällt. So verstehen sie es direkt, denn in Watte packen bringt bei denen nichts.
Letzte Frage: Wie kam es, dass du selbst heute so locker mit all diesen Sex-Themen umgehst und eben keine Scham verspürst?
Ich habe einfach irgendwann gemerkt, dass Sex das Normalste der Welt ist. Einfach jeder tut es, jeder masturbiert und warum sollte man nicht über etwas reden, das uns doch alle so sehr eint?
Wie die Testhelden zum Thema „Scham“ stehen, erfährt ihr im Testhelden-Clip.
Alle Jungfragen findet ihr hier: www.jungsfragen.de