Die alle zwei Jahre stattfindenden Positiven Begegnungen (PoBe) gelten als Europas größte HIV-Selbsthilfekonferenz, bei der unter anderem erörtert wird, welche Schwerpunkte bis zur nächsten PoBe in so genannten Themenwerkstätten bearbeitet werden. Matthias Kuske von der Themenwerkstatt „Diversity“ wünscht sich zum Beispiel eine intensivere Zusammenarbeit der unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb der HIV-Community – und sieht dabei speziell die Schwulen in der Verantwortung.
Matthias, du bist Teilnehmer in der Themenwerkstatt „Diversity“, die sich für die Positiven Begegnungen 2016 mehr Vielfalt wünscht…
Genau. Es gibt aus der PoBe 2014 heraus den Arbeitsauftrag, für die PoBe 2016 zu überlegen, wie das Thema Diversity, also Vielfalt, einerseits ganz allgemein in die positive Community getragen werden, andererseits aber auch für die PoBe 2016 ganz konkret nutzbar gemacht werden könnte.
Warum habt ihr Euch für dieses Thema entschieden?
Wir haben uns bei der letzten PoBe intensiv damit beschäftigt, dass wir innerhalb der positiven Community sehr viele und ganz unterschiedliche Gruppierungen haben, die aber oft eher neben-, als miteinander arbeiten. Wir haben zum Beispiel eine sehr große Community mit positiven schwulen Männern, die mit Sicherheit die größte Gruppe darstellen. Aber: Es gibt auch positive Frauen, Migrant_innen und ein paar Hetero-Männer. Wir haben festgestellt, dass es für alle Beteiligten absolut sinnvoll wäre, Schnittstellen zu finden, um einfach gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
Was wollt ihr damit erreichen?
Es ist doch ganz einfach: Wir müssen Vielfalt noch besser als eine Stärke verstehen. Diese Vielfalt bringt neue Ideen, Visionen, Impulse oder auch „Ressourcen“. Ein einfaches Bild: Auf der PoBe 2014 waren wir als positive Community auf dem CSD Kassel sichtbar. Da waren wir eben nicht „die positiven Schwulen“ oder „die positiven Frauen“ oder „die positiven Mirant_innen“. Wenn wir dieses Bild nicht nur im Rahmen der PoBe vermitteln können, sondern dauerhaft, dann werden wir anders wahrgenommen und haben eine größere Kraft.
Warum gibt es diese einzelnen Gruppierungen?
Etwas plakativ gesagt, ist es doch natürlich für jede Gruppe einfacher, sich in „seiner“ Wahlfamilie einzurichten. Jeder umgibt sich eben gern mit den Menschen, mit und bei denen man sich wohlfühlt. Für die positive Community gesprochen heißt dass, dass sich die Schwulen halt gleich zusammen setzen, so wie die Frauen oder Migrant_innen es auch tun. Das ist erst einmal eine Feststellung und ich finde, dass auch gut so. Diese Art der Zusammengehörigkeitsgefühle setzen ja auch positive Kräfte frei. Und die wünschen wir uns eben nicht nur innerhalb der einzelnen Gruppierungen. Stell dir mal die Power vor, wenn sich die Einzelgruppen als eine gesamte Community verstehen würden.
Welche Gruppe hat dabei deiner Meinung nach noch Nachholbedarf?
Ich sag mal so: Die schwulen Positiven sind ja nicht nur die größte Gruppe innerhalb der Positiv-Community, sondern sie haben auch eine wirklich große Lobby. Sie sind meinungs- und lautstark, treten selbstbewusst in der Öffentlichkeit auf. Das ist an sich auch wunderbar so, nur finde ich, dass gerade aus dieser erhöhten Wahrnehmung auch eine bestimmte Verantwortung entsteht.
Wie sieht diese Verantwortung aus?
Indem es eben die schwulen Positiven sind, deren Forderungen in den Medien rezipiert und in der Gesellschaft diskutiert werden, sehe ich es als unsere Pflicht an, bei genau diesen Forderungen auch solche Themen zu berücksichtigen, mit denen sich vielleicht eher andere Positive beschäftigen. Bevor das aber in ausreichendem Maße geschehen kann, müssen wir uns erst einmal mit möglichen Prozessen und Strukturen auseinandersetzen, die diese Grundhaltung im Idealfall befeuern. Auf der PoBe 2016 wollen wir deshalb Lösungen finden, wie wir es schaffen, mehr zu kooperieren, miteinander zu machen und die Vielfalt dabei ganz bewusst wahrzunehmen. Ein erster Schritt ist es daher, ganz praktisch damit zu beginnen, bei der eigenen Arbeit die anderen Gruppierungen mitzudenken.
Wie erklärst Du Dir eigentlich, dass das Denken und Handeln als vielfältige positive Community erst jetzt Fahrt aufnimmt?
Das liegt schlicht und einfach daran, dass das Thema HIV eine schwache Klammer ist. Soll heißen: Nur weil wir alle positiv sind, heißt das noch lange nicht, dass wir uns dadurch so verbunden fühlen, dass wir alle zusammen arbeiten. Unsere eigenen Identitäten als schwuler Mann, als Frau, als Migrant_in sind sehr viel stärker und damit auch identitätsstiftender als das Thema HIV.
Was hat die Themenwerkstatt Diversity bislang erarbeitet?
Die Themenwerkstatt hat sich bisher zweimal getroffen. Dabei ging es als Erstes darum, den Begriff Diversity für uns zu klären und uns auf einer theoretischen Ebene mit dem Thema zu beschäftigen. Letztlich sind wir dabei zu dem Schluss gekommen, dass es zwischen HIV und der Abgrenzung innerhalb der HIV-Community einen konkreten Zusammenhang gibt.
Und der wäre?
Es gibt wohl keine ärztliche Diagnose, die gesellschaftlich derart stigmatisiert wird wie eine HIV-Infektion. In Folge kommt es bei vielen zu einer Art Selbst-Stigmatisierung und Nicht-Akzeptanz des eigenen Seins. Das führt dazu, dass das Identifikationspotential über das Thema HIV gering ist. HIV alleine bietet nur wenig gemeinsames, das die verschiedenen Untergruppen von HIV-Positiven zusammenschweißt.
Habt Ihr in der Themenwerkstatt auch konkret darüber gesprochen, was die PoBe 2016 leisten kann, um den Vielfalts-Gedanken zu festigen?
Wir werden der PoBe-Vorbereitungsgruppe, die ab Herbst tagen wird, auf jeden Fall vorschlagen, Diversity zum Leit- und Querschnittsthema 2016 zu erklären.
Wenn die Vorbereitungsgruppe das mitträgt, hätte das dann zur Folge, dass beispielsweise Workshops inklusiv aufgebaut werden, dass sie also für alle Teile der Positiv-Community gleichermaßen interessant und inhaltlich zugänglich sind.
Die Positiven Begegnungen 2016 finden vom 25. bis 28. August 2016 in Hamburg statt.