Homosexuelle Flüchtlinge müssen auch in Deutschland Ausgrenzung und Gewalt befürchten. Das Projekt „Senlima – sei unbegrenzt!“ in Bochum will dem entgegenwirken.
Seit Dezember 2014 gibt es bei der Rosa Strippe, dem psychosozialen Beratungszentrum für Lesben, Schwule und deren Familien in Bochum, das Projekt „Senlima – sei unbegrenzt!“ für homosexuelle Migranten und Flüchtlinge zwischen 14 und 27 Jahren. Die Gruppe trifft sich wöchentlich am Montagabend. „Wir bieten einen Raum zum Treffen, zum Vernetzen und für gemeinsame Freizeitaktivitäten“, sagt Nicky Ulrich, die das Projekt betreut.
Angefangen habe alles damit, dass eine Praktikantin der „Rosa Strippe“ ein Projekt für LGBT-Migranten aufbauen wollte. Für Ulrich war klar, dass sich das Angebot ebenso an Flüchtlinge richten muss. „Gerade homosexuelle Jugendliche aus homophoben Kulturen flüchten aus ihrer Heimat, weil sie dort wegen ihrer sexuellen Identität nicht mehr sicher sind und verfolgt werden“, sagt Nicky Ulrich.
Angst ist die größte Last
Sie kommen aus Ländern, in denen Lesben, Schwule, Bisexuelle oder Trans*-Menschen verfolgt, (mit dem Tod) bestraft oder geächtet werden und als Schande für die eigene Familie gelten. Die größte Last, mit der sie zu kämpfen haben, ist bei den meisten die Angst: Angst davor, sich bei den Eltern zu outen. Angst, sich mit der Senlima-Gruppe zu treffen oder die „Rosa Strippe“ aufzusuchen. Angst vor einem Zwangsouting im Heim oder anderen Flüchtlingen, die den gleichen kulturellen Hintergrund haben.
Ein Selbst-Outing in den Gemeinschaftsunterkünften sei daher laut Nicky Ulrich kaum möglich: Die sexuelle Orientierung und die Kultur, in der die Jugendlichen aufgewachsen sind, ließen sich in den meisten Fällen nur schwer vereinbaren. „Meist wissen nicht einmal die Sozialarbeiter, ob die von ihnen Betreuten hetero- oder homosexuell sind.“
Nicky Ulrich erzählt von einem jugendlichen Syrer, der zusammen mit seinen Eltern nach Bochum geflüchtet ist. Wir nennen ihn hier Aabid. Der junge Mann wurde in der Familie christlich erzogen und wuchs in einem Land auf, in dem Homosexualität als „widernatürliche“ sexuelle Handlung gilt und nach dem syrischen Strafgesetzbuch von 1949 verboten ist. Aabid droht in seiner Heimat eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren, würde jemand erfahren, dass er auf Jungs steht – ein Coming-out wäre unvorstellbar. „Er sagt, man würde in schlagen und misshandeln, wenn herauskommt, dass er schwul ist“, so Nicky Ulrich.
Ein Selbst-Outing ist kaum vorstellbar
Aabid ist nur einer von vielen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich keiner aus der Senlima-Gruppe in der Öffentlichkeit äußern oder gar fotografieren lassen möchte. Selbst in Deutschland ist die Gefahr eines erzwungenen Outings noch immer zu groß. „Wir verzichten zum Beispiel auf Flyer, weil wir keinen homosexuellen Flüchtling dadurch, dass er sich so etwas in die Hosentasche steckt, in Gefahr bringen wollen“, erklärt Nicky Ulrich.
Einmal in der Woche kann Aabid trotzdem so sein, wie er möchte, und muss sich nicht verstecken. Für die Jugendlichen sei das eine große Erleichterung, sagt Nicky Ulrich. „Ich mache den Flüchtlingen praktisch die Tür auf und schaffe erst mal einen sicheren Raum, wo sie sich austauschen können.“
In erster Linie gehe es gar nicht unbedingt darum, traumatische Erfahrungen oder Probleme aufzuarbeiten. Vielmehr wolle man durch Freizeitangebote seelische Entlastung ermöglichen. „Das Programm richtet sich dabei nach den Wünschen der Jugendlichen und reicht von Kinobesuchen über Spiele bis hin zu Expeditionen durch die Schwulenlokale Bochums.
Letzten Montag gab es einen Spiele-Abend. Die sprachliche Barriere lasse sich dabei ganz einfach überwinden, erklärt Nicky Ulrich. „Mein Hauptarbeitsmittel ist der Kicker. Beim Kickern braucht man nicht zu reden.“ Die Regeln seien einfach, und Emotionen wie Trauer, Wut oder Freude würden einfach über das Spiel transportiert. „Zu sehen, wie die Anspannung einfach wegfällt, die Angst also körperlich losgelassen wird, das beeindruckt mich immer wieder aufs Neue.“