Tom aus Duisburg ist erst 53, aber schon in Rente. Der Grund: 1994 bekam er Aids und hat nur knapp überlebt. Seit der gelernte Steuerfachgehilfe wieder fit ist, engagiert er sich bei der Aidshilfe. Philip Eicker sprach mit ihm über seine ehrenamtliche Arbeit beim Online Health Support (OHS), dem Gesundheits-Chat für schwule Männer bei Gayromeo.
Tom, du bist Health-Supporter. Wer bei Gayromeo was zu Safer Sex wissen will, kann sich an dich wenden. Wirst du mit Anfragen bombardiert?
Nein, das passiert nur selten. Manchmal kommt ein bis zwei Stunden lang keine einzige Message. Meist mache ich nebenher andere Dinge am PC oder meine Rückengymnastik. Wenn eine Anfrage kommt, höre ich das ja am Signalton. Eine Ausnahme war der Welt-Aids-Tag 2007, da war ich für ein paar Stunden als einziger Supporter online. Aber nach ein paar Stunden kamen dann zum Glück noch ein paar meiner Kollegen dazu.
Du bist seit den Anfängen 2007 dabei. Wie viele Fragen hast du seitdem beantwortet?
Das weiß ich nicht, aber ich könnte es dir ausrechnen, wir führen Strichlisten. Im Durchschnitt beantworte ich etwa 1.000 Anfragen im Jahr. Bei mir ist es in den letzten Jahren weniger geworden. 2009 kam ich allein im ersten Halbjahr auf 1.095 Anfragen.
Bekommst du manchmal einen Schreibkrampf vom vielen Tippen?
Nein, das macht mir sogar Spaß. Ich bin ja gelernter Steuerfachgehilfe und kann im Zehn-Finger-System tippen.
Wie oft bist du online?
Sehr unterschiedlich. Manchmal mehrmals am Tag einige Stunden, manchmal gar nicht. Im Durchschnitt sind es 18 Stunden pro Woche. Jeder Health-Supporter hat einen Vertrag, ich mit der Aidshilfe Duisburg – und die kooperiert mit der Deutschen AIDS-Hilfe und die wiederum mit Gayromeo. In diesem Vertrag ist auch meine Arbeitszeit genau geregelt. Wir verpflichten uns, mindestens zehn Stunden pro Monat online zu sein. Es gibt insgesamt 66 Supporter-Profile, einige davon sind Gruppenprofile, es sind also rund 80 Berater verfügbar. Das heißt: Ein Supporter ist fast immer online.
Was wollen die Leute von dir wissen?
Wir machen viel Nachlese zum Sex. Viele fragen: War dies oder das safe? Oder sie schildern Symptome und wollen eine Einschätzung, was das sein könnte. Denen sage ich als erstes: Wir sind keine Ärzte und können keine Ferndiagnose stellen, höchstens eine Vermutung äußern. Meistens geht es aber darum, ein Infektionsrisiko einzuschätzen. Ein Dauerbrenner ist der ungeschützte Oralverkehr. Die Wahrscheinlichkeit, sich dabei mit HIV anzustecken, ist aber sehr gering. Das sorgt trotzdem für viel Unsicherheit.
Hast du auf alle Fragen eine Antwort?
Nein, natürlich nicht. Aber für solche Fälle habe ich aktuelle Nachschlagewerke, wo ich nachschauen kann. Außerdem bekommt man eine Art Ausbildung als Health-Supporter. Zuerst habe ich eine Grundschulung gemacht – so wie jeder, der ehrenamtlich für eine Aidshilfe arbeiten möchte. Da wird niemand mit gefährlichem Halbwissen auf die Menschheit losgelassen. Für den Online Health Support habe ich dann ein Wochenende lang eine Fortbildung bekommen: einen Tag lang ging es um medizinische Fakten, einen Tag ums Internet an sich.
Was lernt man da so?
Man trainiert die Kommunikation im Chat. Das prägnanteste Beispiel ist für mich die sogenannte Reduzierung der Kommunikationskanäle. Anders als zum Beispiel am Telefon weißt du im Chat nicht, wie dein Gegenüber drauf ist: Du hörst den Tonfall nicht, keine Lautstärke, kein Lachen. Deshalb muss man sich im Ausdruck sehr stark zurückhalten, damit es keine Missverständnisse gibt. Ironie zum Beispiel ist sehr problematisch.
Was ist das Schwierigste an deiner Aufgabe?
Der Wissensstand zu HIV ist sehr unterschiedlich, trotzdem musst du versuchen, allen gerecht zu werden. Safer Sex hat ja viele Ebenen. Die Informationen so auszudrücken, dass sie jeder versteht, ist gar nicht so einfach.
Ehrenamt: Tom aus Duisburg Hast du dir bewusst ein schwules Ehrenamt ausgesucht?
Ja, ganz gezielt. Ich bin seit 1985 positiv getestet, 1994 hatte ich Aids im Vollbild. Damals war ich häufig auf die Unterstützung der Aidshilfe angewiesen. Davon möchte ich nun ein bisschen was zurückgeben. Fast 80 Prozent der HIV-Positiven in Deutschland sind schwule Männer – was liegt da näher, als mich hier zu engagieren? Ich war auch mal für drei Jahre im Vorstand der AIDS-Hilfe Duisburg, aber das war nix für mich. Vereinsmeierei liegt mir nicht. (lacht)
Du möchtest dich erkenntlich zeigen?
Ja. Wegen HIV bin ich seit 18 Jahren in Rente. Da ich der Solidargemeinschaft auf der Tasche liege, ist es ein gutes Gefühl, wenn ich etwas zurückgeben kann. Außerdem habe ich als Positiver das Bedürfnis, andere Leute zu unterstützen, damit sie sich nicht anstecken, so wie es mir passiert ist. Ich möchte ihnen die nötigen Infos vermitteln, damit sie für sich selbst eine gute Entscheidung treffen können.
Hast du schon mal überlegt, dein Ehrenamt hinzuschmeißen?
Ja, einmal. Damals ging es mir persönlich nicht gut. Grob zusammengefasst: Ich war unglücklich verliebt. Da habe ich kurz überlegt, ob ich mir das noch antun soll. Aber dann habe ich mir gesagt: So viel ist ja dann doch nicht zu tun – und auf die zehn Stunden Mindest-Einsatz komm ich ja fast im Schlaf. (lacht) Damals habe ich mir aber vorgenommen, keinen Frust mehr aufzustauen. Wenn ich grantig bin, lass ich mein Profil lieber zu. Dann hat das keinen Zweck – und auch dem User ist nicht geholfen, wenn ich missmutig vorm Bildschirm sitze.
Wissen die User, dass du positiv bist?
Ja, das steht gleich in meiner Profilüberschrift. Seit ich das reingeschrieben habe, bekomme ich viele Anfragen von Leuten, die gerade ihr positives HIV-Testergebnis bekommen haben oder befürchten, sich angesteckt zu haben. Die wollen wissen: Was passiert mir jetzt? Ich kann sie dann meist beruhigen. Zum Beispiel indem ich sage: Ich bin schon seit 28 Jahren positiv und mir geht es gut – und das, obwohl bei mir damals die Startposition viel schlechter war. Das macht ihnen Mut. Dann weiß ich sofort wieder, wozu ich nütze bin. Das ist ein unheimlich positives Feedback!
Interview: Philip Eicker
Ein kurzes Porträt von Tom kann man auf 3sat sehen. In der Sendung „Nano“ berichtet er über sein Leben mit HIV.
Der Online Health Support bei Gayromeo wird von der Deutschen AIDS-Hilfe koordiniert und von mehreren Präventionsteams in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden am Laufen gehalten. In Nordrhein-Westfalen kümmert sich „Herzenslust“ darum, dass es gut geschulte Online-Berater gibt, die sich einmal im Jahr vernetzen und fortbilden. Die Projekte und Aktionen der Landesarbeitsgemeinschaft Herzenslust – zum Beispiel auf den CSDs in NRW – richten sich an Schwule und andere Männer, die Sex mit Männern haben. Sie sollen gezielt die Gefühle ansprechen. Es geht nicht nur darum, aktuelle Gesundheitsinformationen zu verbreiten, sondern schwulen Männern Lust auf Sex zu machen – trotz HIV und anderen sexuell übertragbarer Krankheiten. Wer mithelfen möchte, kann sich unter „Helden gesucht!“ informieren.
http://www.herzenslust.de/herzenslust/front_content.php?idcat=1223