In Wien wurde erneut klar: HIV-Prävention muss Lust thematisieren und darf auch lustig sein. Manche Kampagnen vermitteln Informtionen – andere nehmen es mit den Fakten nicht so genau. Wir haben sehr gelacht!
„67,5 % der Konferenzteilnehmer haben während der Plenarsitzung Pornos runtergeladen.“ Wäre diese Aussage Ergebnis einer Studie, man müsste von einer bahnbrechenden Erkenntnis sprechen. Ist sie aber natürlich nicht. Es handelt sich vielmehr um das, was in der HIV-Prävention immer dringend gebraucht wird: eine Idee, die von sich reden macht.
Die Porno-Behauptung war nicht die einzige liebevoll gefälschte Prozentzahl auf der 18. Internationalen AIDS-Konferenz. Wer nach einer Wiener Nacht am Morgen ins Tagungscenter zurückkam, wurde dort möglicherweise von der Aussage empfangen: „82,5 Prozent der Tagungsteilnehmer haben letzte Nacht masturbiert“.
Eine These, die schon deutlich näher an die Wahrheit heranreichen dürfte als die erste. Und sie schafft, was HIV-Prävention schaffen soll: Man denkt ein kleines bisschen anders über Sex als vorher. Und über den referierenden Professor in der ersten Kongressveranstaltung des Tages.
Wobei es hier nicht darum geht, jemanden bloßzustellen. Im Gegenteil: „Safe. Good. Sex.“, lautet die Message der Kampagne mit den steilen Thesen. Dahinter steckt das britische Pleasure Project. Dessen Credo: „Wir glauben, dass man nur Safer Sex haben kann, wenn man weiß, wie man guten Sex hat.“ Deswegen sollen nicht Krankheit und negative Aussagen bei der Prävention im Vordergrund stehen: „Wir wollen Sex safer machen, indem wir das thematisieren, was Leute Sex haben lässt: das Bedürfnis nach Freude.“
Dieses Bedürfnis hat auch die niederländische Selbsthilfeorganisation „Poz & Proud“ im Blick. Auf einem Plakat setzt man einen shampoonierten Männernhintern als Blickfang ein und nennt den Anus gleichermaßen überraschend wie treffend „Tunnel of Love“. Die Unterzeile verheißt Informationen „über die Lust (und Last) mit dem Anus“. Auf Holländisch klingt das so gut, dass sich umgehend eine deutsche Dragqueen so nennen sollte: „Lusten van de Anus“. Oder gibt’s die schon?
Auch ein zweites Plakat von „Poz & Proud“ thematisiert Lust – nämlich die von Paaren, bei denen einer der Partner positiv, der andere negativ ist. Es stellt die Frage: „Warum soll HIV einer guten Beziehung im Weg stehen?“ Das Bild dazu zeigt ein Paar, das offenkundig sehr lust- und liebevoll unter einer Decke steckt.
Das Kleingedruckte: „Im Jahr 2009 teilten serodiskordante Paare Erfahrungen von Liebe, Intimität und Sex im Zeitalter der nicht nachweisbaren Viruslast.“ Gemeint ist damit, dass HIV-Therapien mit der Zahl der Viren im Blut auch die Wahrscheinlichkeit senken, HIV weiterzugeben. Unter bestimmten Bedingungen ist eine Übertragung nur noch sehr unwahrscheinlich. (Mehr Informationen darüber gibt es im Bereich Safer Sex FAQ: „Kann ein HIV-Positiver tatsächlich auch nicht ansteckend sein?“)
Mit einer besonders gewagten Zuspitzung trat in Wien die Universität Kopenhagen an: Dort kann man sich zum „Master of HIV“ ausbilden lassen. Fraglich ist allerdings, ob die Dänen hier das Thema Lust so bewusst einbinden wie es das Pleasure Project und Poz & Proud es tun.
Wie auch immer, Assoziationen entstehen in den Köpfen der Betrachter. ICH WEISS WAS ICH TU hat sich in Wien jedenfalls gerne inspirieren lassen!
(Holger Wicht)
Weitere Infos zur Wiener Konferenz auf aidshilfe.de
Resümee: „Nach Wien“ – Silke Klumb, Geschäftsführerin der Deutschen AIDS-Hilfe im Interview
PS: Blogger Werner Bock berichtete im Blog der Deutschen AIDS-Hilfe täglich aus Wien und stellte fest, dass auch die nicht-schwulen Präventionisten lustige Ideen haben: Er traf die Superhelden Methadone Man und Buprenorphine Babe. Nach Ersatzstoffen benannt, warben sie für Substitution bei Heroinkonsumenten. Sogar an die Geschlechterparität war gedacht worden!