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Sexuelles Neuland entdecken – ein persönlicher Reisebericht

Till Amelung

Es kann eine Herausforderung sein als trans Mann zum ersten Mal in einen Darkroom zu gehen oder sich mit einem schwulen Typen zu einem Sexdate zu verabreden. Wie wird ein anderer Mann im Darkroom reagieren, wenn er mir in den Schritt fasst und da kein Schwanz zu ertasten ist? Und wenn ich einen Kerl zu mir nach Hause einlade, werden wir uns so miteinander wohl fühlen, wie wir uns das im Chat noch erhofft hatten? Neuland in sexueller Hinsicht zu erforschen, kann aber auch spannend, lustvoll, nervenaufreibend und frustrierend zugleich sein. Davon soll in diesem Text die Rede sein; allerdings will ich mal keine wissenschaftliche Abhandlung vorlegen, sondern vielmehr eigene Erfahrungen und kursorische Gedanken dazu niederschreiben.

 

Meine Perspektive ist die eines trans Mannes, das heißt, mir wurde nach der Geburt ein kleines rosa Armbändchen angelegt, was mich als Mädchen auswies, aber im Laufe meines Lebens merkte ich, dass dies nicht passte. Als ich mehr schlecht als recht versuchte, einen Platz als vermeintliche Frau in dieser Gesellschaft zu finden, outete ich mich zuerst als lesbisch. Frauen zogen mich an, Sex mit einem Mann kam mir eher nicht in den Sinn, wenngleich ich auch mit einzelnen Männern Erfahrungen gemacht hatte, weil ich dachte, das gehöre dazu. Dass sich das während meiner Transition sukzessive verändern sollte, konnte ich mir vorher nicht wirklich vorstellen.

 

Mein Verhältnis zu Sexualität war kein einfaches, denn guten Sex zu erleben fiel mir schwer, weil ich mich so tiefgreifend unwohl in meinem Körper fühlte. Ich konnte mich nie so richtig einer anderen Person hingeben. Doch mit der Transition waren da plötzlich neue Phantasien und eine durch Testosteron auf den Stand eines 14-jährigen Jungen versetzte Libido. Masturbation machte schon mal mehr Spaß als vorher und half mir, meinen Körper neu kennenzulernen. Schließlich hatte ich meine Brust-OP und mir auch die Fortpflanzungsorgane entfernen lassen.

 

Je mehr ich mich in meinem Körper wohl fühlte, desto stärker war ich bereit, mich auf die neuen Phantasien einzulassen und sogar auszuprobieren, Sexdates mit Männern zu haben. Nun stellte sich die Frage, wie der Berg zum Prophet kommt. Neugierig meldete ich mich schließlich bei Planetromeo an, was in der Community auch gerne als schwules Einwohnermeldeamt bezeichnet wird. Ich erinnere mich noch, wie ich im Jahr 2012 eines Abends am Rechner saß und auf den Bildschirm starrte. Vor mir geöffnet war Gayromeo und ich grübelte, wie ich mein Profil gestalten sollte. Hier steht man dann vor der Herausforderung, die eigenen Sehnsüchte und Begierden in einen Profiltext zu übersetzen. Obendrauf kam noch die Tatsache, dass ich keine Genitalangleichung vornehmen ließ und das wohl jemand besser wissen sollte, bevor er sich für ein Date mit mir entscheidet. Was würde wohl passieren, wenn ich beschreibe, wer ich bin und was ich suche? Fliege ich schneller wieder raus, als ich diesen Text geschrieben habe? Wird sich überhaupt jemand für mich interessieren?

 

Sexuelles Neuland zu entdecken, braucht am besten einen erfahrenen Reisebegleiter…

Einen aussagekräftigen Profiltext zu erstellen, der einladend ist, anstatt zu verschrecken, ist eine Kunst für sich und auch nicht mit der ersten Version beendet – vielmehr ist diese Entwicklung Teil meiner ganz persönlichen Auseinandersetzung mit meinen sexuellen Wünschen. Sexuelles Neuland zu entdecken, braucht am besten einen erfahrenen Reisebegleiter und so bin ich bis heute froh, dass mein erstes Date mit einem schwulen Mann war, der bereits mit anderen trans Männern Sex hatte. Am Anfang war ich allerdings nervös, jedoch stellte sich das als unnötig heraus, denn H. war sehr sympathisch und dann ergab sich alles wie von selbst. Danach war mir klar: davon will ich mehr! Und ich bekam es.

 

Ein Erlebnis etwas anderer Art war mein erster Darkroom-Besuch. 2012 war ich bei einem schwulen Freund zu Besuch, als ich mit ihm auf dieses Thema kam und meinte, dass ich sehr neugierig bin, wie sowas von innen aussieht. Mich beim Wort nehmend, schleppte er mich recht spontan in einen Darkroom. Als wir vom Barbereich in die dunklen Katakomben gingen, rutschte mir in meiner Unbedarftheit „Oh, hier ist es aber dunkel!“ heraus, was ein Unbekannter mit „Dann mach doch das Licht an!“, quittierte. Irgendwann irrte ich allein durch die dunklen Gänge der recht gut besuchten Location und war fasziniert von dem regen Treiben. Allerdings war ich frustriert, weil ich keine Ahnung hatte, wie man nun mitmacht. Die ungeschriebene Etikette blieb zunächst wortwörtlich im Dunkeln. Seitdem diese mir jedoch erklärt wurde, habe ich keine Probleme mehr, mich in Darkrooms und Saunen zu bewegen und Sex zu haben.

 

Doch nicht nur ich erlebe Neues, ich selbst mache auch anderen Lust auf etwas Neues, nämlich Sex mit trans Männern. Über Planetromeo bekomme ich viele Nachrichten, die meisten sind von Männern, die noch nie Sex mit einem trans Mann hatten, nun aber durch meine Beschreibung neugierig geworden sind. Darunter sind auch Männer, die vorher ausschließlich mit cis Männern Sex hatten. So vertauschten sich die Rollen und es war nun an mir, den Aufgeregten ihre Nervosität zu nehmen. Bei manchen begann es schon damit, welche Wörter sie im Gespräch mit mir nutzen können. Da ich eher unorthodox bin und mehr Wert darauf lege, dass beiden Seiten wissen, wovon sie gerade sprechen, ermuntere ich mein Gegenüber, Anatomie und Sexpraktiken in eigene Worte zu fassen und versichere ihm, dass ich nicht an die Decke gehe.

 

Sich sexuell auf Neues einzulassen, setzt eine gewisse Selbstsicherheit voraus – man sollte sich auch gerade wohl fühlen, wie ich selbst gemerkt habe. Erzwingen lässt sich das allerdings nicht. Wer sich auf neue Menschen und neue Sexpraktiken einlässt, begibt sich ins Ungewisse und hofft, es möge sich dann in einem geilen Orgasmus auflösen. Der Moment, in dem man seine Unerfahrenheit preis gibt, macht einen durchaus auch verletzlich. Diese Verletzlichkeit ist nicht nur mir vorbehalten, auch cis Männer können solche Momente erleben.

 

Für mich sind solche Momente das Spannende am Dating mit Unbekannten. Manchmal stellt man aber fest, dass es doch nicht passt oder einen gar der Mut verlässt, um sich auf den Unbekannten und das Neue einzulassen. Auch mir passiert dies gelegentlich. All das macht die Suche nach dem heißen Sexdate etwas unberechenbar. Diesem Risiko lässt sich nur schwer mit pädagogischen Mitteln begegnen. Wir müssen das alle aushalten. Inzwischen habe ich ein gutes Gespür dafür, mit wem es geil werden könnte und mit wem nicht. Entsprechend konsequent konzentriere ich mich auf erstere.

 

Obwohl es immer wieder aufs Neue aufregend ist, jemanden zum ersten Mal zu treffen und ich mich dann durchaus in der Unsicherheit, ob wir tatsächlich ein heißes Date haben werden, ein wenig verletzlich fühle, habe ich insgesamt Glück gehabt und nur wenig Ablehnung erfahren. Und das, obwohl ich mich nun nicht gerade als Posterboy eigne. In Klagen über eine diskriminierende Szene kann ich daher nicht einstimmen.

 

Transfeindlichkeit habe ich hier nur so selten erlebt, dass ich diese unter „Idioten gibt es überall“ verbuche. Ablehnung und Zurückweisung, so denn ich sie erfahren habe, wurden mir so vermittelt, wie jedem anderen Mann auch. Für mich war entscheidend, dass ich meinen Körper, so wie er jetzt ist, akzeptieren kann und kein verkrampftes Verhältnis meinen sexuellen Wünschen gegenüber mehr habe. Entsprechend kann ich das anderen rüberbringen, weshalb ich davon ausgehe, dass dies einer der Gründe ist, dass ich gleich diejenigen anziehe, mit denen es mit hoher Wahrscheinlichkeit passt. Daraus ziehe ich natürlich wiederum weiteres Selbstvertrauen, um mich immer wieder auf neue Dates einzulassen. Besonders Spaß habe ich inzwischen daran, Männer für die meine genitale Ausstattung etwas völlig Neues ist, in für sie bislang unvertraute Materie einzuführen.

Foto: Spyrus Rennt