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« Schweiß, Körperbehaarung und Testosteron »

Zwei Jahre lang begleitete der schwule französische Fotograf Marc Martin (« Fenster zum Klo », « Dur labeur », « Beau menteur » ...) den jungen schwulen trans Buchhändler Jona James, der beim Schöneberger queeren Buchladen Eisenherz tätig ist. Aus der Zusammenarbeit zwischen dem Fotografen und seinem Modell kam das Fotobuch « SO WHAT?! » heraus, sowie eine gleichnamige Ausstellung, die im November 2024 im Eisenherz stattfand. Das Ergebnis : starke, spannungsvolle homoerotische Bilder, und das sensible Porträt eines trans, selbstbewussten und lustvollen Schwulseins. Annabelle Georgen traf Marc Martin und Jona James zum Gespräch.
Zwei Boxer nähern sich sexuell aufgeladen.

Foto: Marc Martin

 

Marc, das ist das erste Mal, dass du einem trans Mann ein ganzes Fotoprojekt widmest. Was hat dich dazu inspiriert, diesen Weg mit Jona zu gehen?

Was mir bei Jona gefallen hat, war seine Art zu lächeln, trotz all des umgebenden Hasses und der übelriechenden Untertöne, die wir gerade erleben. Seine Lebensfreude, seine sexy-Bad-Boy-Attitüde sind aus meiner Sicht die schönste Abwehr gegen Transfeindlichkeit: Jona fühlt sich wohl in seiner Haut. Wie aufregend ist das denn! Wenn er den Macho-Typen vor der Kamera spielt, ist es eine Art, klassische Männlichkeit zu dekonstruieren. Ich habe Jona zwei Jahre lang begleitet – in die Boxhalle, in der er trainiert, und natürlich auch in die Umkleidekabine. Letztere ist einer meiner Lieblingsorte, um mit Klischees aufzuräumen. Jona habe ich auch in seiner Privatsphäre fotografiert. Dieses Buch ist keine Biografie von Jona, sondern vielmehr eine Sammlung von Lebensabschnitten, die wir gemeinsam inszeniert haben. Selbst der Känguru-Slip, den er auf manchen Bildern trägt, haben wir gemeinsam ausgesucht.

 

Jona, ein großer Teil der Bilder wurde in der Boxhalle geschossen, in der du trainierst. Wann hast du Boxen für dich entdeckt? Hat dieser Sport und seine besondere Ästhetik deine eigene Männlichkeit geprägt?

Mir gefällt am Kampfsport neben den körperlichen Fähigkeiten und dem Selbstvertrauen, das man gewinnt, auch der rituelle Charakter sehr. Natürlich habe ich mit Autoritäten klassisch-queer meine Probleme. Trotzdem gefällt mir die Idee einer Rangordnung, die idealerweise völlig unabhängig von Gender, Race oder Alter ist und die grundlegende Übereinkunft, dass sich alle gegenseitig respektieren. Wer mehr Kraft und Erfahrung hat muss sich an denen orientieren, die noch nicht so lange dabei sind und unbedingt ihre Grenzen achten. Mein erster Dojo war in Bremen, da habe ich schon als Jona und als er trainiert. Meine physische Transition kam aber erst viel später. Im Dojo wurde ich nie in Frage gestellt. Es ging nur darum, miteinander zu lernen. Das, was mir Kampfsport und speziell Boxen gibt, hat wenig mit Geschlecht zu tun. Im Ring erlebe ich nicht meine Männlichkeit, sondern eher meinen Ehrgeiz, meine Sportaffinität, natürlich auch meine verschrobene Idee von einem perfekten Körper – aber eher, was Kraft, Geschwindigkeit, Muskeln, Durchhaltevermögen und Fähigkeiten angeht. Gegenfrage: Warum haben viele Männer Probleme damit, anderen Männern körperlich nahe zu sein – es sei denn, sie sind halb nackt, verschwitzt und hauen sich gegenseitig auf die Nase? Zärtlichkeit, Nähe und eine gewisse Homoerotik. Darum geht’s doch eigentlich beim Boxen, oder?

 

Foto: Marc Martin

 

Marc, im Buch schreibst du, dass du auf Instagram Follower verlierst, jedes Mal, wenn du ein Foto von Jona postet. Wie empfindest du das ?

Auf Instagram sind die Mehrheit meiner Follower Männer, die Männer lieben. Anders formuliert: Männer, die einen Penis haben. Ein Teil meiner Follower ist offensichtlich leider nicht bereit, eine pluralistische Männlichkeit zu akzeptieren. Einige Kommentare, die von Schwulen kommen, klingen wie die von den radikalsten Konservativen. Als ich anfing, Bilder von Jona zu posten, und negative Reaktionen bekam, empfand ich das als eine Art Verrat. Eine Ungerechtigkeit. So wurde das Thema von « SO WHAT?! » sowohl politisch als auch erotisch. Meine Herangehensweise hier ist diegleiche, wie die meiner anderen Arbeiten rund um Männlichkeit. In « SO WHAT?! » gibt es also Schweiß, Körperbehaarung und Testosteron. Und Jona ist stolz darauf, dass selbst die hartnäckigsten Männer einen hoch kriegen, wenn sie seine Bilder gucken. Seine Post-Mastektomie-Narben sind auch ein Symbol von seinem Weg als Mann.

 

Jona, Männlichkeit wurde noch nie so viel kritisiert und dekonstruiert wie heute. Als Fotograf beschäftigt sich Marc weiterhin mit Männlichkeit. Schien es Dir wichtig oder nötig, Marc zu ermöglichen, sich mit deiner Männlichkeit, und damit mit trans Männlichkeit zu beschäftigen?

Jona : Ich finde es sehr wichtig, dass Dekonstruktion von Männlichkeit nicht nur cis Männern vorbehalten wird. Genau so, wie Feminismus die Befreiung aller Geschlechter als Ziel hat, muss die Idee einer neuen, freieren Männlichkeit für alle Menschen offen sein. Vielleicht fängt es bei Profifußballern, die Nagellack tragen, an. Aber was ist mit den trans Männern, die in psychologischen Gutachten ihr Trans-Sein abgesprochen kriegen, weil sie gerne Makeup tragen und sich nicht an einer starren binären cis-Männlichkeit orientieren? Ich finde Marcs Arbeit wunderbar und sehe sie in einem stetigen Wandel bzw. Prozess, sie wächst durch die neuen Perspektiven, die die Modelle mitbringen. Für mich schien es, als wäre trans Männlichkeit ein blinder Fleck für ihn. Was passiert, wenn Männlichkeit nicht dekonstruiert sondern von Grund auf konstruiert wird? Wenn die Sicherheit, ein Mann zu sein, nicht auf Körperlichkeit aufbaut und gleichzeitig auch versucht, nicht in die Rollenklischee-Falle zu tappen? Ich wollte diese Perspektive erkunden und die Ergebnisse sichtbar machen.

Marc : Ich glaube nicht, dass es zwangsläufig toxisch ist, männlich und muskulös zu sein. Und ich glaube nicht, dass es ungesund ist, sich von männlichen Attributen angezogen zu fühlen. Für mich ist es problematisch, wenn das « Männlichsein » dir das Gefühl gibt, anderen überlegen zu sein. Selbst innerhalb der Community: Das ist das Problem. Genau das will ich mit meiner Arbeit um jeden Preis bekämpfen.

 

Foto: Marc Martin

 

Wie wurde die Ausstellung in Berlin, in der Buchhandlung Eisenherz, wahrgenommen? 

Jona : Wir haben bei Eisenherz noch nie so viele Reaktionen auf eine Ausstellung bekommen, das haben mir auch die Kolleg*innen bestätigt. Wir haben Menschen ins Gespräch gebracht und sie zum Nachfragen animiert, das hat mich sehr gefreut. Allgemein rangierten die Rückmeldungen von „vielen Dank für deine Offenheit und dafür, dass du die Menschen gewissermaßen an die Hand nimmst und einlädst“ bis zu „es ist so toll, sich repräsentiert zu sehen und eine mögliche Perspektive für trans (maskuline) Leben gezeigt zu bekommen, das macht Mut!“ Bei Eisenherz gibt es immer eine monatliche Bestseller-Liste und im November war unser Buch mit über 65 verkauften Exemplaren ganz oben. Das ist ein tolles Gefühl und bleibt auch als Zeichen stehen: trans Männer haben einen Platz neben den cis Schwulen, sind gefragt und werden wertgeschätzt.

 

Marc, was wünschst du dir mit dem Buch? 

« SO WHAT?! » soll unbequem sein, sowohl durch seinen poetischen als auch seinen frontalen, sexuellen Aspekt. Ich möchte, dass diese Mischung aus Text und Fotografie zum Nachdenken,  zur Selbstreflexion über die eigenen Ängste und Vorurteile anregt. Und dass das Buch trans und cis Personen zusammenbringt, damit wir gemeinsam gegen Intoleranz und Dummheit einstehen können. Ich habe viel mit Mathis Chevalier zusammengearbeitet, einem ehemaligen MMA-Champion, einer Sportart, die nicht als zimperlich im Umgang mit Offenheit bekannt ist. Mathis und Jona habe ich zusammen fotografiert, wegen ihrer gemeinsamen Leidenschaft für den Kampfsport. Wenn Mathis Jona im Ring trägt, ist es wie ein Sieg, den sie beide zur Schau stellen. Ihre sexuell aufgeladene Attitüde sprengt das Bild. Als Fotograf bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass schöne Bilder auch Menschen umdenken lassen können.

 


 

« SO WHAT ?! », Marc Martin & Jona James, Agua, 68 Seiten, 35 Euro

Das Buch ist in der Berliner Buchhandlung Eisenherz, sowie auf der Website des Agua-Verlags erhältlich.

Transparenz-Hinweis : Annabelle Georgen hat das Vorwort des Buchs geschrieben

 

Foto: Marc Martin