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Konsens in queeren Räumen

Vom schwulen Darkroom zur sex-positiven FLINTA-Party: Wie wird sexueller Konsens in unterschiedlichen queeren Räumen ausgehandelt? Und wie gehen wir mit Grenzüberschreitungen in diesen Räumen um? Anlässlich des Welttags der sexuellen Gesundheit am 4. September hat Manu Abdo mit unterschiedlichen Menschen gesprochen.
Zeichnung von Menschen in einem Club. Alles ist abgedunkelt. Zwei Menschen schauen sich an. Darüber steht "Yes? No? Maybe?"
Illustration: Harjyot Khalsa, www.harjyotkhalsa.com
In Deutschland ist jede sexuelle Handlung ohne das Einverständnis aller beteiligten Parteien (affirmativer Konsens) strafbar. Affirmativer Konsens beschreibt eine Situation, in der alle Beteiligten bewusst, freiwillig und aktiv einer sexuellen Handlung zustimmen. Eine sexuelle Handlung könnte jede Form von körperlicher Interaktion mit einem sexuellen Charakter umfassen, wie Küssen, Umarmung, Berührungen oder Geschlechtsverkehr. Diese Zustimmung muss eindeutig verbal oder nonverbal ausgedrückt, kann jederzeit zurückgezogen und darf nicht durch Gewalt, Zwang oder Manipulation erlangt werden. Ein „Ja“ zu einer bestimmten Handlung bedeutet nicht automatisch Zustimmung zu anderen Handlungen, und ein vorheriges Einverständnis gilt nicht automatisch für zukünftige Interaktionen. Schweigen oder das Fehlen von Widerstand gelten nicht als Zustimmung. Besonders wenn jemand durch Alkohol, Drogen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht in der Lage ist, klare Entscheidungen zu treffen, kann kein Konsens gegeben werden. In solchen Fällen ist es entscheidend, zu erkennen, ob die andere Person handlungsunfähig ist.

 

Ein wichtiger Schritt zur Förderung des affirmativen Konsenses war die Einführung der „Antioch College Sexual Offense Prevention Policy“ 1991 am Antioch College in Ohio-USA. Diese Richtlinie wurde als Antwort auf die wachsende Besorgnis über sexuelle Übergriffe auf College-Campus-Studentinnen eingeführt und wurde von feministischen Bewegungen inspiriert. Sie zielte darauf ab, eine Kultur der gegenseitigen Achtung und des Respekts zu schaffen: Der Konsens musste aktiv, bewusst und freiwillig gegeben werden. Diese Politik transformierte das Verständnis von Einwilligung, half sexuelle Übergriffe zu verhindern und schuf einen neuen Standard für den Umgang mit sexueller Zustimmung. Diese Pionierarbeit bereitete den Weg für moderne Ansätze auch in queeren Räumen.

 

Von schwulen Darkrooms und sex-positiven FLINTA-Partys

In diesen queeren Räumen, die als sichere Häfen für Menschen dienen sollen, die Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität erfahren, wird besonders darauf geachtet, dass alle Beteiligten nicht nur physisch, sondern auch emotional sicher sind. Es werden klare Kommunikationswege etabliert und die individuellen Grenzen jedes Einzelnen respektiert. Jedoch gibt es selbst innerhalb queerer Räume Unterschiede darin, wie Konsens gelebt und umgesetzt wird, was auch vom jeweiligen Ort und seinen Gegebenheiten abhängen kann.

 

Allerdings wenn sich jemand aus irgendeinem Grund unangemessen verhält, ohne den Konsens der anderen zu beachten, sollte dies kein Grund für Bestrafung oder Ausschluss sein, sondern eine Gelegenheit, daraus zu lernen. In einer Zeit des ständigen politischen Korrekturprozesses sollte der Raum für Bestrafung durch alternative Ansätze ersetzt werden, die Bildung und persönliches Wachstum fördern. Der*Die nicht binäre Mediator*in Joris Kern gibt seit 2009 Workshops zu den Themen Sexualität und Einvernehmlichkeit für Menschen, die in pädagogischen Feldern arbeiten, und versucht dabei, Konsens als eine Haltung oder Kultur und nicht nur als Methode zu definieren. Joris hat zwei Bücher über Konsens geschrieben: Sex aber richtig und Konsenskultur. Zudem hat er*sie von den Unterschieden in queeren Räumen bei der Arbeit im Organisationsteam einer sex-positiven FLINTA-Party erfahren. „Es ist spannend zu sehen, wie sich die Räume und Dynamiken bei schwulen und FLINTA-Partys unterscheiden, besonders wenn sie im gleichen Veranstaltungsort, aber zu unterschiedlichen Zeiten stattfinden,” erzählt Joris. Bei den FLINTA-Partys war die Atmosphäre oft ruhiger, und es wurde viel Wert darauf gelegt, dass sich die Teilnehmenden zunächst kennenlernen und miteinander kommunizieren, um ein langsames Gefühl von Sicherheit und Einvernehmlichkeit zu schaffen, bevor es zu körperlichen Interaktionen kommt und sie in den Dark Room gehen. Im Gegensatz dazu stand bei den schwulen Partys der körperliche Kontakt im Vordergrund. Die Teilnehmer bewegten sich durch den Raum und konnten bereits Kontakt herstellen, oft bis jemand ausdrücklich sagte, dass er es nicht möchte. „Beide Ansätze haben ihre Chancen und Herausforderungen. Die schwule Szene könnte davon profitieren, mehr Kommunikation während und vor der Interaktionen zu fördern, während die Spontaneität und Impulsivität in der schwulen Cruising-Räumen eine Stärke wäre, von dem FLINTA-Räume profitieren könnten. Es ist wichtig, Räume zu schaffen, die sowohl Lust und Spontanität ermöglichen aber auch sicherstellen, dass alle Beteiligten sich wohlfühlen und respektiert werden,” erklärt Joris weiter.

Bestrafen oder lernen?

Der legendäre Club SchwuZ in Berlin, der aus der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW) hervorging, ist bekannt für seine sex-positiven Partys, die einen sicheren und inklusiven Raum für die LGBTIQ+ Community schaffen. Auf ihrer Website steht klar: „Konsens unterscheidet unter anderem Sex von sexualisierter Gewalt.“. David Degener vom Awareness-Team dort betont, dass Konsens für viele Menschen kein selbstverständlicher Begriff ist. Er vermittelt das Verständnis des Teams, dass Menschen unterschiedliche Hintergründe und Erfahrungen haben, die ihr Verhalten und ihr Verständnis von Konsens beeinflussen. Ein junger Mensch aus einem kleinen Dorf, der sich mit 18 Jahren geoutet hat und Berlins Kink-Partys ausprobieren möchte, bringt möglicherweise weniger Erfahrung in queeren Räumen mit als jemand, der in Berlin aufgewachsen ist. Diese unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen können dazu führen, dass manche unbewusst ungeschickt handeln, weil ihnen das nötige Wissen fehlt.

 

Wenn eine Person dem Team von einer unschönen Erfahrung berichtet, wird ihr zunächst geglaubt, und es wird ermittelt, was diese Person sich wünscht und braucht. Viele Betroffene wissen zunächst nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen, da einem manche übergriffige Erfahrungen erst nach einer Weile bewusst werden. „Ich wurde geküsst und habe eigentlich nichts gesagt. Ich weiß gar nicht, wie ich damit umgehen sollte,“ gibt David als Beispiel an. Dabei muss auch der Kontext betrachtet werden: Wenn die betroffene Person zum Beispiel eine BPoC ist und immer wieder in die Haare gefasst wird, handelt es sich nicht nur um einen Konsensübergriff, sondern auch um einen rassistischen Übergriff. Solche Situationen gibt es auch bei sexuellen Kontakten im Darkroom, wo es zu Übergriffen kommen kann.

 

Es gibt Fälle, in denen das Verhalten einer Person andere Gäste gefährdet. Solche Personen werden vom Team aus dem Club gebracht, und ihnen wird erklärt, warum sie gerade heraus gebracht werden. „Einer meiner ersten Fälle handelte von einer Person, die andere Menschen mehrfach und ohne deren Zustimmung umarmt hat,“ berichtet David. „Diese Person, die alkoholisiert war, hielt oft Menschen fest und ließ sie nicht los, trotz ihrer Bitten. Ein betroffener Gast sagte oft: ‚Nein, bitte fass mich nicht an.‘ Diese Person wurde schließlich ausgeschlossen und schrieb uns ein Jahr nach diesem Vorfall eine E-Mail.” Das Team toleriert keine Form von Täterschutz aber glaubt daran, dass Menschen die Chance haben sollten, zu lernen und sich zu ändern. Wenn jemand des Clubs verwiesen wird, erhält die betroffene Person eine Karte mit einer E-Mail-Adresse. Dies ermöglicht es der Person, später mit dem Feedback-Team in Kontakt zu treten und in Ruhe über den Fall zu sprechen. David nimmt sich dafür die Zeit und ist mit der Geschäftsführung hauptverantwortlich, diese E-Mails zu beantworten. „Wichtig ist, dass eine hohe Vertraulichkeit herrscht und über diese Vorgänge gesprochen wird. Das dauert natürlich einige Tage, weil ich alle Perspektiven mit einbringe und keinen Menschen vorverurteilen möchte,“ erklärt er. Durch den Dialog können verschiedene Perspektiven eingebracht und Themen wie Grenzen, Konsum und Verhalten besprochen werden. Dieser Austausch könnte sogar dazu führen, dass die betroffene Person nach einer Reflexion über den Vorfall wieder in den Club darf. „Ich möchte keinen Hammer schwingen und sagen: schuldig oder unschuldig, sondern in einen Dialog reingehen und Menschen aufklären,“ sagt David.

 

Ähnlich sieht es auch Joris, der*die glaubt, dass Sanktionen oder Bestrafungen nicht immer die beste Lösung sind und dass man vor allem zwischen Unfällen und Übergriffen unterscheiden muss. Ein Übergriff liegt vor, wenn jemand die Grenzen einer anderen Person missachtet und möglicherweise absichtlich versucht, diese zu überschreiten. Ein Unfall hingegen passiert oft, wenn beide Parteien glauben, dass sie einvernehmlich handeln, aber später feststellen, dass dies nicht der Fall war. Dies kann aufgrund unklarer Absprachen oder Missverständnisse geschehen. „Ein konstruktiver Umgang mit einem Konsensunfall besteht darin, Verantwortung zu übernehmen und zu lernen, wie ähnliche Probleme in Zukunft vermieden werden können“, erklärt Joris. „Das könnte bedeuten, sich der eigenen Grenzen bewusster zu sein, mehr Fragen zu stellen oder den Substanzgebrauch zu berücksichtigen. Ein gut gelöster Unfall kann sogar dazu beitragen, eine Beziehung zu vertiefen, indem Vertrauen und Verständnis gestärkt werden“. Im Gegensatz dazu erfordert ein Übergriff oft Abstand und Schutz für die betroffene Person.

 

Joris weist darauf hin, dass Bestrafung um der Strafe willen, wie etwa der Ausschluss als Form der Rache, nicht produktiv sei. Stattdessen sollte der Fokus darauf liegen, sichere Räume zu schaffen und auch diejenigen zu unterstützen, die bereit sind, aus ihren Fehlern zu lernen. Es solle Möglichkeiten für Personen geben, die sich unangemessen verhalten haben, sich zu verändern und die Auswirkungen ihres Handelns zu verstehen. „Während Sicherheit oberste Priorität hat, ist es wichtig, den Schutz mit der Möglichkeit der Rehabilitation zu verbinden“, fügt Joris hinzu.

Konsens als Prozess

Deswegen spricht Joris lieber von Konsensualität als von Konsens, als einem kontinuierlichen Prozess, bei dem sich immer etwas Neues entwickelt und neue Impulse entstehen, die Dinge verändern könnten. „Zwischen ‚Ja‘ und ‚Nein‘ gibt es auch ein ‚Vielleicht‘, und darüber kann man verhandeln. Es geht darum, den Rahmen für Experimente zu schaffen.“ betont Joris die Offenheit in sexuellen Begegnungen, wobei manchmal unerwartet wunderschöne Dinge entstehen, wenn wir uns nicht strikt an unsere Vorstellungen halten. Das erfordert, dass man sich ein wenig verletzlich macht. „Es gibt auch immer einen Anfang und einen Stopp. Ein ‚Nein‘ muss immer akzeptiert werden, alles andere ist übergriffig. Egal, ob das ‚Nein‘ von jemand anderem kommt oder mein eigenes ist“, erweitert Joris und erklärt weiter, dass „Konsens oft klingt, als wäre es schwarz-weiß, ja oder nein, eins oder zero. Konsensualität ist dagegen etwas, das sich weiterentwickelt-was ich vor fünf oder zehn Jahren als einvernehmlich angesehen habe, sehe ich jetzt vielleicht anders, weil ich mehr über meine eigenen Bedürfnisse gelernt habe. Das heißt nicht, dass es damals falsch war, aber jetzt verstehe ich mehr, was ich brauche und wie ich besser mit anderen umgehen will.“

 

Solche Offenheit und Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, spiegelt sich auch in den Erfahrungen wider, die David in seiner Arbeit im SchwuZ gemacht hat. Er erzählt von einer Person im Rollstuhl, die das erste Mal in einen Dark Room ging und davon berichtete, wie schön es dort war. Sie wurde vor jeder Interaktion gefragt, ob alles für sie in Ordnung sei. „Normalerweise wird sie ignoriert, aber an diesem Abend wurde sie freundlich gefragt, wie es ihr geht, und alles im Darkroom lief reibungslos. Das war für sie eine neue und positive Erfahrung.“ Diese Rückmeldungen zeigen, wie wichtig es ist, durch einfache Fragen und Aussagen wie „Ja“ oder „Nein“ ein Umfeld des Respekts und der Inklusivität zu schaffen.

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