Aus dem Vollen Schöpfen: Die Löffel-Theorie zur psychischen Gesundheit

IWWIT präsentiert: Die Löffel-Theorie! Unser Autor hat Jonathan Gregory, Leiter der IWWIT-Kampagne, interviewt und gefragt, was es damit auf sich hat. Ein Gespräch über unterschiedliche Energie-Level und psychische Gesundheit in den queeren Communities.

Jonathan, ihr habt eine neue Kampagne gestartet: die sogenannte „Löffel-Theorie“.  Erklär mal: was hat es damit auf sich?  

Wir haben festgestellt, dass in den letzten Jahren insbesondere mehrfach stigmatisierte queere Menschen offener über Themen wie psychisches Wohlbefinden und psychische Erkrankungen sprechen. Speziell queere Männer haben ein starkes Bedürfnis nach Austausch in Bezug auf psychische Gesundheit, besonders in Zeiten wie der Pandemie, in denen viele Beratungsstellen und Anlaufstellen nicht verfügbar waren. Zudem hat die psychische Gesundheit auch einen Effekt auf die sexuelle Gesundheit, weswegen es auch deswegen direkt mit unserem Auftrag verbunden ist.

Die Idee zur „Löffel-Theorie“ stammt von der US-amerikanischen Aktivistin Christine Miserandino, die 2003 diese Theorie entwickelt hat, um den Umgang mit Energie bei chronischen Krankheiten zu erklären. Dabei stehen „Löffel“ als metaphorische Einheiten für Energie, wobei jeder Mensch eine unterschiedlich begrenzte Anzahl davon hat. Zum Beispiel braucht jemand mit einer chronischen oder psychischen Erkrankung für die reguläre Bewältigung des Alltags mehr Löffel (also Energie) als ein Mensch ohne diese Einschränkungen. Ähnlich verhält es sich mit Menschen, die strukturell diskriminiert werden. Diese Theorie hat sich über die Jahre zu einer „Spoony-Bewegung“ entwickelt, um den Umgang mit Ressourcen besser zu verstehen. Und diese Debatte wollen wir nun in die schwule und queere Communitys reinholen.

Es klingt ja erstmal etwas theoretisch – wie erklärt ihr diese Theorie den Menschen? 

Wir haben verschiedene Wege gefunden, um die Theorie anschaulich zu gestalten. Dazu gehören Flyer mit verschiedenen Motiven, die verschiedene Aspekte des queeren Lebens repräsentieren, zum Beispiel Non-Binary Pride, Trans Pride, Gay Pride, oder die Aids-Schleife. Diese Löffel verweisen auf die Webseite, auf der die Theorie erklärt wird. Unser Ziel ist es, dass Menschen sich ihren Alltag besser einteilen können und sich dazu ermutigt fühlen, miteinander über ihre Erfahrungen zu sprechen. Zum Beispiel indem wir den Satz „Hey, heute habe ich nicht so viel Energie; ich glaube, ich habe kaum noch Löffel heute zur Verfügung“ ein Stück weit normalisieren. Oder „heute habe ich nur noch wenige Löffel zur Verfügung und damit muss ich aber noch dies oder jenes bewältigen.“ Wir möchten eine solidarische Gemeinschaft fördern, in der Menschen sich gegenseitig unterstützen können.

Die Löffel-Theorie mag anfangs abstrakt wirken, aber sie ist für alle Menschen relevant. Queere Menschen tragen oft zusätzliche Belastungen aufgrund von Diskriminierung in der Gesellschaft. Zum Beispiel Minderheitenstress – also eine Form von Stress, dem aufgrund von Diskriminierung und Stigma nur Minderheiten ausgesetzt sind. Es gibt auch Menschen mit psychischen Problemen, wie Depressionen, Panikattacken, oder Angststörungen, die ihren Energiehaushalt beeinträchtigen. Ich war selbst zum Beispiel vier Monate in einer Tagesklinik und hatte in dieser Zeit viel weniger Löffel, weil ich viel Energie dafür aufwenden musste, morgens überhaupt aus dem Bett und in die Klinik zu kommen. Da gibt die Löffel-Theorie einem ein Tool an die Hand, das anderen Menschen zu erklären: „Hey, du hattest gestern vielleicht zehn Löffel zur Verfügung, ich leider aber nur fünf. Deswegen war mein Tag schwerer zu bewältigen und ich habe es nicht mehr geschafft, dich anzurufen.“ Diese Theorie kann helfen, schwierige Themen verständlicher zu machen und Menschen dabei zu unterstützen, ihre eigenen Grenzen zu erkennen.

Wie wird die Kampagne umgesetzt und wo wird man auf sie stoßen?

 

 

 

 

Wen wollt ihr ansprechen und welche Ziele verfolgt ihr damit?

Unsere Kampagne richtet sich nicht nur an Betroffene, sondern auch an Angehörige, Pflegende und die gesamte Gesellschaft. Ich habe mit der Theorie zum Beispiel auch meinen Schwieger- und Großeltern erklären können, wie es ist, mit einer Depression zu leben. Wir möchten das Bewusstsein für psychische Gesundheit stärken und Menschen dazu ermutigen, über ihre Erfahrungen zu sprechen.

Unsere Hoffnung ist es, dass während der CDS-Saison viele Menschen die Flyer weitergeben, die Löffel an andere weiterreichen und Gespräche führen. Zudem erhalten wir oft Nachrichten, in denen uns mitgeteilt wird, dass das Thema Mental Health die Leute sehr interessiert. Und wir möchten an diesem Punkt als Kampagne weiterarbeiten. Bei der EMIS-Studie, der größten europäischen Studie zur Gesundheit schwuler und bi+ Männer, sowie trans Menschen, geht es zum Teil auch um Mental Health. Unsere Präventionsarbeit zielt darauf ab, Menschen in den Austausch zu bringen und Tabus zu beseitigen. Wir möchten die Scham abbauen und ermutigen, sich ernsthaft nach dem Befinden anderer zu erkundigen. Zu fragen „Wie geht es dir?“ und auch wirklich an der Antwort interessiert zu sein. Das ist es, was wir uns erhoffen und wünschen. Unser Ziel ist es, eine solidarische Gemeinschaft zu schaffen, die sich gegenseitig unterstützt und Tabus um psychische Gesundheit beseitigt.

Vielen Dank für das Interview, Jonathan!

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