Bis zum „Tag gegen Homophobie“ am 17. Mai stellen wir euch hier im Blog Menschen, Projekte und Aktionen vor, die sich gegen Homophobie engagieren. Wir sprechen mit ihnen und lassen uns ihre Geschichten erzählen. Die sind unterschiedlich, bunt und spannend und zeigen, was für vielfältige Gesichter dieses Engagement haben kann.
Teil 3: Der Vatikan: homophil und homophob zugleich
Homophobie in der katholischen Kirche
David Berger (44) hat für Furore gesorgt: Der konservative Theologe machte Karriere in der katholischen Kirche und war schließlich Professor an einer päpstlichen Akademie in Rom – bis er sich mit seinem Buch „Der heilige Schein“ als schwul outete. Die Folge: Er verlor nicht nur seine Aufgaben im Vatikan, sondern auch seine Lehrerlaubnis als Religionslehrer in Deutschland. Im Gespräch mit Philip Eicker nennt er Gründe für die die Homophobie in der katholischen Kirche.
Herr Berger, ist der Vatikan ein homophober Ort?
Ich würde ihn homophil-homophob nennen. Es ist beides vorhanden. Unter all den Männern dort ist eine homophil enorm aufgeladene Stimmung. Zumal man davon ausgehen kann, dass etwa die Hälfte von ihnen zumindest homosexuell veranlagt ist. Deshalb wird dort schwuler Sex auch ausgiebig praktiziert. Natürlich nicht im Vatikan, aber in der Umgebung.
Sehen Sie eine direkte Verbindung zwischen Homophobie und Homosexualität?
Ich kann das nicht wissenschaftlich beweisen, aber so habe ich es erlebt: Diejenigen, die in Vorlesungen und privaten Gesprächen besonders homophob aufgetreten sind, haben in den meisten Fällen selbst heimlich ein schwules Leben geführt – aber ohne Selbstakzeptanz. Wenn man zu ihnen sagte: „Du bist doch auch schwul!“, reagierten sie entsetzt. Es ist zwar Sex mit Männern, aber man darf es nicht schwul nennen, weil das ja verboten ist.
Woher kommt diese Homophobie?
Zum einen ist es Konkurrenzdenken. Das Priestertum der katholischen Kirche war über Jahrhunderte das Lebensmodell für schwule Männer. Die Generation Ratzinger hatte ja gar nicht die Möglichkeit, sich einfach bei iwwit.de zu informieren. Wenn man damals nicht heiraten oder zu einem verschrobenen alten Onkel werden wollte, konnte man nur noch Priester werden. Für diese Männer war die zölibatäre Lebensform der perfekte Schutzraum. Mit der Legalisierung der Homosexualität in Europa und der Schwulenbewegung wird diese Grundaufgabe der katholischen Kirche hinfällig. Der schwule Lebensentwurf tritt in Konkurrenz zum Priesterdasein.
Zum anderen: Wenn ich sehe, wie andere fröhlich als schwule Männer leben, ich mir aber meine Sexualität immer verkniffen habe, wird mir ein Spiegel vorgehalten: So könntest du auch leben! So entsteht extreme Homophobie – gerade bei Männern, die ihre Homosexualität nicht verarbeitet haben.
Wobei die Ablehnung der Homosexualität kein Phänomen der heutigen Zeit ist. Sie widerspricht schlicht der katholischen Lehrmeinung …
Es gibt eine lange Tradition, Homosexualität zu verbieten, das ist richtig. Auch in der Heiligen Schrift. Allerdings hat die Kirche schon weitaus traditionsreichere Verbote fallen lassen, zum Beispiel, Geld gegen Zinsen zu verleihen. Das Verbot der Homosexualität dagegen ist auch heute noch nützlich, weil es ein Machtmittel ist. Wenn ich den vielen homosexuell veranlagten Klerikern verbiete, Sex zu haben, obwohl das Sexualbedürfnis so fundamental ist, dann habe ich viele Untergebene mit Leichen im Keller. Die kann ich dann damit loyal halten, zur Not auch erpressen.
Haben auch Sie Homophobes verkündet?
Nein, nie. Als ich Herausgeber der katholischen Monatsschrift Theologisches geworden bin, ist dort kein homophober Artikel mehr erschienen. Ich wies alle zurück. Das wurde bemerkt, und man wollte mich unter Druck setzen. Man gab mir zu verstehen, dass mein Privatleben bekannt sei, dass man wisse, dass ich mit einem Mann zusammenlebe. Das wurde immer wieder angedeutet – bis ich mich dann unerpressbar gemacht habe, indem ich mich öffentlich outete.
Damit haben Sie ihre Karriere beendet.
Ja, das wusste ich. Aber letztlich hat sich der Zustand der Erpressbarkeit psychisch so stark niedergeschlagen, dass ich das Ende meiner theologischen Karriere gerne in Kauf genommen habe.
Was gab den Ausschlag für Ihr öffentliches Coming-out?
Ein Auslöser war ein Talk bei Anne Will, wo Bischof Overbeck gesagt hat, homosexuell zu sein, sei eine Sünde. Damit ging er weit über die katholische Lehrmeinung hinaus. Das hatte bis dahin kein Kirchenführer behauptet.
Was hat dafür gesorgt, dass Sie sich mit einem Skandalbuch verabschiedet haben?
Die permanente Erpressung. Ich wurde immer stärker unter Druck gesetzt. Als sich die kirchenpolitische Ausrichtung unter Benedikt XVI. veränderte, habe ich gemerkt, dass die konservative Denkrichtung, die ich vertreten habe, in letzter Konsequenz zur Erpressung von Menschen führt. Da hatte sich etwas aufgestaut, das raus musste.
Können Sie ein Beispiel für eine solche Erpressung geben?
Als der Papst die reaktionären Piusbrüder rehabilitierte, unterschrieb ich eine Petition dagegen. Danach wurde ich bei meinen Vorgesetzten in der Theologisches-Redaktion einbestellt. Zuerst sagte man mir: „Das hat man Ihnen untergeschoben.“ Mir wurde also angeboten, meine Unterschrift zu leugnen. Ich habe sie dennoch bestätigt. Dann kam die Frage: „Wussten Sie, dass dort auch Homosexuelle unterschrieben haben? Wollen Sie mit Ihrem Namen unter lauter Homosexuellen stehen?“ Damit sollte mir klargemacht werden: Wenn du so etwas unterschreibst, musst du damit rechnen, dass wir dich outen. Das war auch eine ökonomische Drohung, denn mit dem Outing habe ich ja auch meine Lehrerlaubnis als katholischer Religionslehrer verloren.
Haben Sie die Hoffnung, dass sich die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität in den nächsten 20 Jahren ändert?
Nein, auf absehbare Zeit nicht. Der nächste Papst wird vermutlich aus Lateinamerika oder Afrika kommen und in gesellschaftspolitischen Fragen noch konservativer agieren.
Literaturtipp: David Berger: Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche, List Taschenbuchverlag, 9,99 Euro