Der Videodreh mit Christian war der ruhigste, den unser Team je erlebt hat. Und einer der spannendsten: Christian ist gehörlos und spricht Gebärdensprache.
Die Kollegen machen sich Sorgen: „Alles klar bei euch?“ – „Ja, warum?“ – „Man hört gar nichts. Komisch.“
Man muss es ihnen nachsehen: Fernsehen ist für gewöhnlich kein leises Geschäft. Menschen reden schnell und gern lauter als üblich, man wirft sich noch fix einen letzten Gedanken durch eine sich schließende Studiotür zu und ständig rennt irgendwer im Flur, weil er mit den Dingen, die er trägt, ganz schnell irgendwo hin muss, wo er eigentlich längst sein sollte.
Der ruhigste Dreh, den wir je hatten
Heute passiert nichts davon. Am Ende des Tages im Fernsehstudio sagt der Kameramann: „Das war der ruhigste Dreh, den ich je hatte.“ Das gleiche trifft für mich zu. „Schuld“ ist unser Protagonist, der in acht Stunden gemeinsamer Arbeit nicht ein einziges Wort sagt, viel lächelt und uns zur Ruhe zwingt.
Soll er nachgepudert werden, muss man vorher winken, weil er sonst nicht weiß, dass er das Kinn heben muss. Damit wir nicht für jede Kleinigkeit („nach rechts, nach links, rauf, runter, einen Schritt zur Seite bitte …“) seinen Dolmetscher Matthias brauchen, machen wir möglichst viel vor, schneiden Grimassen und reden ungelenk mit Händen und Füßen.
Christian amüsiert sich prächtig über unsere Ungeschicklichkeiten. Er ist gehörlos zur Welt gekommen und soll uns heute seine Geschichte erzählen – in Gebärdensprache.
Schon nach der ersten Zigarettenpause habe ich verstanden: Das macht man nicht nur mit Händen und Füßen, sondern mit dem ganzen Körper. Zu den oberen Extremitäten kommen das Gesicht, der Mund, die Hüften. Alles wird zusätzlich eingesetzt um zu unterstreichen, zu betonen, Punkte und Ausrufungszeichen zu setzen.
Eine Geste für Bayern
Gebärdende sind ein Drittel Pantomime, ein Drittel Zirkusartist, ein Drittel Dialekt-Coach. Denn in Gebärdensprache gibt es alles, was es in Lautsprache auch gibt: regionale Unterschiede, eine eigene Grammatik, Missverständnisse, rhetorische Ausrutscher. Die Hamburger Geste für Bayern ist viel höflicher als die in Berlin und ob jemand gerade „Leipzig“ oder „Köln“ gebärdet hat, ist auch nicht unbedingt eindeutig.
Was eindeutig ist: Alle haben Spaß und freuen sich über die neue Erfahrung. Mein Kameramann ist ab und an so damit beschäftigt, über sein Handy den Fortgang der Dinge auf Facebook zu beschreiben. So dass er mit seiner eigentlichen Arbeit nicht hinterherkommt. „Wusstet ihr, dass es in Gebärdensprache Dialekte gibt? Habe einen spannenden Tag. Ergebnisse in ein paar Wochen auf iwwit.de“, lässt er die Außenwelt wissen.
Geschwindigkeit auch ohne Ton
Christian hingegen ist von der Geschwindigkeit überrascht, mit der hier gearbeitet doch wird. Für das, was wir hier in anderthalb Tagen drehen, würde er normalerweise Wochen veranschlagen, um Texte zu übersetzen, vorher das Studio einzurichten, sich genaue Gebärden zu überlegen, ueberdies nochmal mit Freunden zu besprechen, ob alles richtig und korrekt ist.
Ist es, lässt uns Gebärdensprachdolmetscher Matthias wissen. Und es wird super aussehen, versprechen wir.
Nachdem in weiteren zwei Tagen Grafik, Schnitt und Untertitelung hinzugekommen sind, tut es das auch. Selbst wenn es immer wieder dieselbe Reaktion gibt: Menschen, sofern sie viel an Computern arbeiten, sind beim Anschauen der Videos erstmal erst irritiert und fummeln an ihren Lautstärkereglern herum, um dann zu lächeln und zu sagen: „Ach ja, gibt ja keinen Ton.“
Nee, geht auch ohne. Ist trotzdem alles klar. Siehe oben.
(Paul Schulz)
Infos über IWWIT und Tipps zu Safer Sex in Gebärdensprache